Gelungene Premiere: Symposium „Akupunktur in der Anaesthesiologie“

Akupunktur in der Anaesthesiologie – auf dem Weg in die Routine
Gemeinsames Symposium der Klinik für Anaesthesiologie am Klinikum der Universität München und der DÄGfA

Das Symposium „Akupunktur in der Anaesthesiologie – auf dem Weg in die Routine“ fand am 21.03.2015 in München im historischen Hörsaal der Augenklinik statt.

Begrüßt wurden die ca. 100 Teilnehmer von Prof. Dr. Bernd Zwißler, dem Direktor der Klinik für Anaesthesiologie am Klinikum der Universität München. Er skizzierte das wieder gewonnene Interesse der klinischen Anästhesie an der Akupunktur und wies auf die besondere wissenschaftliche Qualität der eingeladenen internationalen Referenten hin. Priv.-Doz. Dr. Dominik Irnich, der im Namen der DÄGfA die Gäste begrüßte, griff den Spannungsbogen auf, beleuchtete die Choreografie des federführend von ihm zusammengestellten Symposiums und moderierte den ersten Teil des Vormittags.

Prof. Dr. Peter Conzen, leitender Oberarzt der Klinik für Anaesthesiologie, setzte den ersten Akzent, indem er die Geschichte der Schmerzlinderung unterhaltsam und Anekdoten-reich vom Altertum bis in die heutige Zeit aufzeigte. Schon 1550 v. Chr. wurden die schmerzstillenden Eigenschaften des Mohnsaftes im „Papyrus Ebers“ – der wohl ältesten Sammlung medizinischer Rezepturen – beschrieben. Aber erst seit der ersten Äthernarkose 1846 konnten Operationen ohne Fesselungen und Beten durchgeführt werden.

Die Referenten des Symposiums „Akupunktur in der Anaesthesiologie“ (v.l.n.r.): Prof. Dr. Peter Tassani-Prell, Prof. Dr. Andrea Michalek-Sauberer, Priv.-Doz. Dr. Konrad Streitberger, Prof. Dr. Peter Conzen, Priv.-Doz. Dr. Dominik Irnich, Prof. Dr. Dierk Schwender, Prof. Dr. Walter Zieglgänsberger, Prof. Dr. Bernd Zwißler, Prof. Dr. Shahnaz C. Azad, Petra Bäumler, M.Sc., Dr. Jochen Gleditsch, Dr. Johannes Fleckenstein, Dr. Anna Hutzel (nicht im Bild: Prof. Dr. Taras Usichenko, Dr. Eric Anders, Dr. Thomas Hesse).

Petra Bäumler, M.Sc., Interdisziplinäre Schmerzambulanz, Campus Innenstadt, ging in ihrem Vortrag der Frage nach, ob Akupunktur tatsächlich über Endorphinausschüttung schmerzlindernd wirkt. Wissenschaftlich sauber begründet und eloquent vorgetragen führte die Referentin aus, dass die Akupunktur zweifelsohne das endogene Opioidsystem im ZNS aktiviert. Weiterer Forschungsbedarf besteht aber hinsichtlich der Rolle von in den Blutkreislauf ausgeschütteten sowie peripher lokal sezernierten endogenen Opioiden bei der Akupunkturanalgesie. Auch die postulierte frequenzabhängige Ausschüttung bestimmter endogener Opioide sollte Gegenstand von weiteren Untersuchungen sein.

Prof. Dr. Taras Usichenko, Klinik für Anästhesiologie, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, begründete mit hochwertig publizierten Studien, dass die Stimulation am Punkt P6 effektiv für PONV-Prävention und -Therapie (postoperative Übelkeit und Erbrechen) ist. Er zeigte, dass die Akupunktur in der Behandlung akuter postoperativer Schmerzen wirkt und dass die Ohrakupunktur vielversprechende Ergebnisse für die präoperative Anxiolyse liefert. Eigene Studienergebnisse und Erfahrungen mit der Integration der Akupunktur in Klinikstandards gaben diesem Vortrag einen besonderen Ausdruck.

Prof. Dr. Andrea Michalek-Sauberer, Ambulanz für Akupunktur der Klinischen Abteilung für Spezielle Anästhesie und Schmerztherapie der Medizinischen Universität Wien, bestätigte und erweiterte eindrucksvoll diese Ergebnisse anhand eigener Studien und zeigte insbesondere die vielfältigen Optionen der Ohrakupunktur auf. Diese hilft nachgewiesenermaßen bei situativer Angst und postoperativen Schmerzen. Es scheint eine Punktspezifität gegeben zu sein. Der Wirkmechanismus ist aber noch völlig unklar.

Prof. Dr. Walter Zieglgänsberger, Priv.-Doz. Dr. Dominik Irnich und Dr. Jochen Gleditsch (v.l.n.r.) diskutieren über die physiologischen Grundlagen der Very-Point-Technik.

Der 2. Teil des Vormittags wurde von Prof. Dr. Shahnaz C. Azad, Leiterin der Schmerzambulanz am Klinikum Großhadern, engagiert moderiert.

Priv.-Doz. Dr. Konrad Streitberger, Universitätsklinik für Anästhesiologie und Schmerztherapie, Inselspital Bern, beleuchtete detailliert mögliche Stimulationsformen an P6 bei PONV. Er zeigte sachlich und kompetent, dass die Effektivität zunimmt, je höher das PONV-Risiko des Patienten ist. Dabei sagt die Evidenz klar, dass am P6 zu stimulieren ist (Punktspezifität), aber nicht eindeutig, welche Stimulationsform und welcher Zeitpunkt am effektivsten sind.

Dr. Johannes Fleckenstein, Institut für Komplementärmedizin IKOM, Universität Bern, stellte sich dialektisch und redegewandt der schwierigen Frage, ob „time to extubation“ ein relevantes Therapieziel darstellt, das durch Akupunktur beeinflusst werden kann. Er argumentierte, dass diese nur einen Teilbereich darstellt, wenn es um klinisch fassbare Effekte wie Erholung („recovery“) und den Zeitpunkt der Entlassung aus dem Aufwachraum geht. Eine eigene, an der LMU durchgeführte Studie konnte hier erste Hinweise auf positive Akupunkturwirkungen geben.

Prof. Dr. Peter Tassani-Prell, Direktor der Klinik für Anästhesiologie am Deutschen Herzzentrum in München (DHM), berichtet, dass die Elektroakupunktur in der Herzchirurgie in Deutschland und am DHM eine lange Tradition hat. Herget et al. publizierten 1976 die ersten 250 Elektroakupunktur-Narkosen, darunter 131 herzchirurgische Operationen. 1979 beschrieben Hollinger und Richter eine Serie von 800 Herzoperationen mit Elektroakupunktur. Die Methode wird am DHM seit einigen Jahren wieder praktiziert und von Tassani-Prell selbst angewendet. Eindrücklich schilderte er, dass bei der Intubationsnarkose auf Opioide vollständig verzichtet wird – bei geringeren postoperativen Schmerzen, wie nicht nur eigene Untersuchungen zeigten.

Priv.-Doz. Dr. Konrad Streitberger erläutert die Möglichkeiten der P6-Stimulation.

Im letzten Teil des Vormittags wurde dann das Thema erweitert und die Nadeltherapie in Bezug zu neuesten Erkenntnissen der Bewusstseinsforschung gestellt.

Prof. Dr. Dierk Schwender, Medizinische Fakultät, Klinikum der Universität München, erklärte schwunghaft die ausgeprägte und ständig aktive Plastizität des ZNS. Wahrnehmung, Bewusstsein und Erinnerung werden als aktive Leistungen dynamisch generiert, gleichwohl die überwiegende Mehrzahl der daran beteiligten neuronalen Prozesse dem Bewusstsein nicht zugänglich ist. Die (Sinnes-)Wahrnehmung gleicht in Millisekunden erlernte Muster mit der eingehenden Sinnesinformation ab („das Gehirn kommt der Welt entgegen“). Das Bewusstsein selbst stellt hier, wie bei allen anderen Funktionen, nur eine sehr kleine Projektionsfläche dar („das Gehirn kann sehr viel mehr als es weiß“). Auf Erinnerungsinhalte wird in weit größerem Umfang unbewusst, implizit (passiv, semantisch, Emotion, Prozedur, „Verhaltensgedächtnis“) als bewusst, explizit (aktiv, episodisch, Fakten, sprachlich-deklarativ, „Wissensgedächtnis“) zugegriffen.

Prof. Dr. Walter Zieglgänsberger vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München, erklärte faszinierend die Modifizierbarkeit und Plastizität neuronaler Strukturen als die Voraussetzung für Lernen und Gedächtnis. Die zentralnervöse Schmerzverarbeitung ist ein formbarer Vorgang, der – beeinflusst durch die eintreffenden Signale – nachhaltigen Veränderungen unterworfen ist. An der ersten Schaltstelle im Hinterhorn des Rückenmarks schütten die synaptischen Terminalen von Nozizeptoren, durch Schmerzreize in der Peripherie aktiviert, u.a. Glutamat und Substanz P als erregende Überträgerstoffe aus. Bekannt sind mehrere funktionell hemmende Interneuronensysteme, die sich durch sensorische Reize aktivieren lassen (u.a. Endorphinsystem, Endocannabinoidsystem, Neurosteroide, GABAerge/glycinerge Interneurone und monaminerge, deszendierende Bahnsysteme). Studien über purinerge Mechanismen lassen den Schluss zu, dass aus Keratinozyten z.B. durch einen Nadelstich freigesetztes ATP afferente Nozizeptoren aktiviert und so Einfluss auf die Integration afferenter Schmerzreize gewinnt (siehe G. Burnstock).

Prof. Dr. Taras Usichenko und Dr. Thomas Hesse erklären die Akupunktur bei Sectio Caesaria.

Der Nachmittag begann mit einer ausführlichen und sehr lebhaft geführten Diskussion offen gebliebener Fragen und war dann geprägt durch eindrückliche Erfahrungsberichte der beiden Akupunkturpioniere Dr. Anna Hutzel, München, und Dr. Jochen Gleditsch, Wien.

In den folgenden Workshops zeigte Priv.-Doz. Dr. Konrad Streitberger alle Möglichkeiten der P6-Stimulation auf. Dr. Eric Anders, Kinder- und Jugendmedizin, Freital, erarbeitete Konzepte zur Kinderanästhesie. Die Punkte Di4 und P6 sind dabei gut erforscht und eignen sich für den Einsatz bei Kindern. Die Anwendung von Dauerakupunkturpflastern hat sich bewährt. Eltern sollten in die Stimulation einbezogen werden bzw. auch Pflaster erhalten. Dr. Thomas Hesse und Prof. Dr. Taras Usichenko, beide aus der Klinik für Anästhesiologie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, stellten ein multimodales Anästhesiekonzept mit Akupunktur bei Sectio Caesaria vor.

In den Workshops konnten alle praktischen Aspekte der Akupunktur in der Anästhesie intensiv diskutiert werden. So waren denn auch die Rückmeldungen aller Teilnehmer des Symposiums überschwänglich bis enthusiastisch. Selten hat eine Veranstaltung in derartiger Qualität wissenschaftliche Spitzenforschung, das „über den Tellerrand schauen“ und praktischen Wissenszuwachs so vereint.

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Wer dieses Symposium leider verpasst hat, kann weitere DÄGfA-Symposien erleben, die Gleiches versprechen:

1. DÄGfA-Ernährungs-Symposium am 11.7.2015 in München und das 2. Symposium „Akupunktur in der Behandlung psychiatrischer und psychosomatischer Erkrankungen“ am 14.11.2015 am Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München.

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