GOÄ – Geht immer mehr Ohne Ärzte?

GOÄ – Geht immer mehr Ohne Ärzte?

Rainer Stange, Wolfram Stör, Maik Huneke

Auf Betreiben von drei Landesärztekammern, Baden-Württemberg, Berlin und Brandenburg, musste satzungsgemäß am Samstag, dem 23. Januar 2016, in Berlin ein außerordentlicher Deutscher Ärztetag (DÄT) zum einzigen Tagesordnungspunkt Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) kurzfristig einberufen werden, den neben den Delegierten ca. 500 interessierte Kolleginnen und Kollegen besuchten.

Geschichte der GOÄ-Novellierung aus Sicht der BÄK

Zunächst beleuchteten in zwei ausführlichen Referaten aus Sicht des Vorstands der Bundesärztekammer (BÄK) Präsident Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery und Dr. med. Bernhard Rochell, derzeit Verwaltungsdirektor der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), jedoch in seiner Zeit bis September 2014 als Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer vorrangig mit dem GOÄ-Prozess betraut, Geschichte und gegenwärtigen Stand der Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Diese Positionen waren ähnlich Ende 2015 im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht [1].

Die GOÄ ist bekanntlich seit 1996 nicht substantiell angepasst worden. Erstmals fanden 2000-2002 Gespräche mit Ulla Schmidt über ein Vertragslösungsmodell ohne Einfluss des Gesetzgebers statt, damals schon als sog. Vorschlagsmodell zwischen den ‚Hauptspielern‘ BÄK und dem Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) angedacht. Ab 2008 entwickelte die BÄK einen eigenen Vorschlag auf betriebswirtschaftlicher Basis. Seit 2011 finden vom BÄK-Vorstand als erfolgreich dargestellte Verhandlungen mit der PKV statt, ab 2012 auf Grundlage des BÄK-Modells. Seit März 2015 finden beim BMG Verhandlungen mit jetzt auch Teilnahme der Beihilfe (knapp 50 % der PKV-Versicherten haben auch Beihilfe-Ansprüche) statt, in denen u. a. ein vertrauliches Klima verabredet wurde. Im September 2015 fand der so ausgehandelte Entwurf einer Novelle die einstimmige Zustimmung des 19-köpfigen BÄK-Vorstandes bei einer Enthaltung. Dieser wurde im Januar 2016 größeren Kreisen der Ärzteschaft zugänglich gemacht und könnte ab Oktober 2016 via BMG in den Gesetzgebungsprozess eingebracht und im Frühjahr 2017 verabschiedet werden. Jetzt mehren sich Stimmen, die der BÄK-Spitze mangelnde Vertretung ärztlicher Interessen vorwerfen und letztlich sehr kurzfristig die Einberufung des Sonderärztetages durchsetzten. Ein wichtiger Streitpunkt ist die jetzt vorgesehene Gemeinsame Kommission (GeKo), die künftig kontinuierlich Praxis, Streitigkeiten und Anpassung der GOÄ regeln soll, dies mit 4 BÄK-Vertretern, 2 der Beihilfe und 2 der PKV. Nur nach einstimmiger Entscheidung kann sie ein strukturiertes Empfehlungsverfahren zur Weiterentwicklung der GOÄ in Gang setzen.

Montgomery hielt den Kritikern vor, dass mehrere Ärztetage eindeutige Beschlüsse gefasst hätten, eine solche Kommission zu bilden und diese paritätisch zu besetzen. Auch würde entgegen anderslautenden Gerüchten das Prinzip der Analogziffern und der Steigerung beibehalten, es gäbe auch keine Budgetierung. Nach seiner Auffassung sei die Position der Ärzteschaft durch die Gemeinsame Kommission gestärkt, Änderungen in Einzelfragen seien noch möglich. Wer die Novellierung in wesentlichen Teilen ablehne, riskiere eine Verweigerung der SPD-geführten Bundesländer im Bundesrat. Damit wäre eine ‚Jahrhundertchance‘ vertan und es würde der von der SPD favorisierten Bürgerversicherung der Weg geebnet.

Rochell berichtete, dass der von der BÄK 2013 unternommene Versuch der Erhöhung des Punktwertes entsprechend Inflationsausgleich von der Bundesregierung abgelehnt worden sei. Dem BMG werde unter Einbeziehung der PKV, Beihilfe, BZÄK und Bundespsychotherapeutenkammer am 27. März 2016 ein ‚Informationspaket‘ übergeben. Darin enthalten seien die Top 500 Gebührenpositionen (sog. Pareto-Liste), die vollständige Ausformulierung der Kapitel B und M (darin enthalten u. a. Stärkung der sprechenden Medizin, u. a. auf Wunsch der PKV) und die Erhöhung des Punktwertes entsprechend Inflationsausgleich. Eine Steigerung auf etwa 2,4-fach sei zu erwarten und eine Angleichung an den EBM unter allen Umständen zu vermeiden. Es gäbe keine ‚Kapitelbindung‘ der Arztgruppen, keine Budgets, keine ‚KV‘ für die GOÄ-Abrechnung. Die Gebührenordnung für Psychotherapeuten (GOP) soll nicht in der GOÄ aufgehen. Befristete Erprobungen neuer Versorgungselemente könnten eingeführt werden.

Die Kritiker

Dr. med. Elmar Wille, Vizepräsident der LÄK Berlin, vertrat die Kritiker. Wichtigster Tenor: Über die GOÄ hinaus werde durch die Novelle die Berufsordnung für Ärzte (BOÄ) wesentlich beeinflusst, ärztliche Selbstverwaltungsrechte und -kompetenzen ohne Not an die PKV abgegeben, wichtige Elemente eines Freien Berufes demontiert. Im Einzelnen brachte Wille zahlreiche Kritikpunkte, die letztlich auf das von ihm unterstellte Ziel der PKV auf Angleichung an die GKV mündeten. Die weiterhin wirtschaftlich gute Situation der PKV illustrierte er mit den Gesamtkosten für die Akquise neuer Vertragskunden, die dem gesamten ärztlichen Honorar entsprächen (Anmerkung: Dies geschah ohne Angabe von Quellen, gemäß von der PKV publizierten Daten entsprachen diese 2014 41 % des ärztlichen Honorars [2]).

Es fände eine Entwertung der Approbation durch § 1 Abs. 2 Satz 1 der neuen GOÄ statt, denn ‚Vergütungen darf der Arzt nur für Leistungen berechnen (…), für deren Erbringung der Arzt nach Maßgabe des Weiterbildungsrechts grundsätzlich die fachliche Qualifikation besitzt‘ (Damit sind Facharztqualifikation, Schwerpunktbezeichnung, Zusatzweiterbildung und Fachkunde gemeint. Dies dürfte für viele Mitglieder von DÄGfA, ZAEN, Zentralverband homöopathischer Ärzte und besonders auch für Allgemein- und praktische Ärzte eine erhebliche Erschwernis bedeuten!).

Wille bezeichnete die GOÄ-Novelle als rechtswidrig. BMG und PKV unternähmen Eingriffe in die Berufsfreiheit und bisher nie dagewesenen Einfluss von BMG und Privatversicherungswirtschaft. Die Ärztliche Berufsfreiheit und Ärztliche Approbation seien entwertet.

Dr. med. Theodor Windhorst referierte als Vorsitzender des Ausschusses Gebührenordnung der BÄK kurz und sehr emotional mit letztlich kaum neuen Informationen. Zum Punkt der Abrechenbarkeit nach Qualifikation brachte er das Beispiel einer Herzoperation, die nur der durchführen und abrechnen dürfe, der das verstünde.

In der dann folgenden freien Aussprache spiegelte sich die Zerrissenheit der Delegierten wider. Auch wenn es teilweise recht emotional zuging, zeichnete sich eine Mehrheit ab, die den Vorstand stützte. In der Pause zuvor hatte dieser ausgelegte Flugblätter einsammeln lassen, in denen Analogien zum Faschismus bemüht wurden. Von der Entschlossenheit zur Begrenzung der (Geld-)Gier war die Rede, es würde von den Kritikern nicht offen gesagt, dass man lediglich mehr Geld wolle (von dem erstaunlicherweise den ganzen Tag kaum die Rede war). Die Kritik der Delegierten betraf vor allem die Position der GeKo, die Unklarheit bei den Steigerungsfaktoren und die früher zugesagte, jetzt aber fehlende Inflationsanpassung und die unklare Verknüpfung von Abrechnungspositionen mit gesicherter Fachkunde.
Von 45 angemeldeten Rednern kam aber nur die Hälfte zu Wort.

Auch wenn durch die Einführung neuer Gebührenpositionen für die Akupunktur und Chinesische Medizin [3] und für die Erweiterung der „Sprechenden Medizin“ eindeutig gute Regelungen erzielt wurden, bleiben erhebliche Probleme besonders für Naturheilverfahren, Komplementärmedizin und Hausärzte.

Analogberechnung

Die analoge Berechnung von Leistungen wird in der neuen GOÄ auf neue technische Methoden beschränkt, die bisher nicht bekannt waren. Das kann für viele traditionelle und komplementärmedizinische Verfahren das Aus bedeuten. Denn alles, was jetzt nicht als Position enthalten ist, kann somit nicht mehr analog abgerechnet werden und ist aus der Erstattung ausgeschlossen. Das könnte möglicherweise fatale Folgen haben:
Beispiel: Gua Sha, eine hierzulande wenig bekannte, aber sehr wirkungsvolle chinesische Massagebehandlung mit wissenschaftlicher Evidenz, könnte in Zukunft nicht mehr abgerechnet werden.

So würden Verfahren ausgeschlossen und somit die Therapiefreiheit für Patient und Arzt eingeschränkt! Darüber könnte sich die PKV freuen, denn sie hat in ihren bisherigen Verträgen vielfach die Naturheilverfahren als Leistung eingeschlossen. Wenn jedoch die Ärzte diese Leistungen nicht mehr analog abrechnen können, spart sich die PKV die entsprechenden Ausgaben. Geht der Patient zum Heilpraktiker, übernimmt die PKV weiterhin in vielen Fällen die Kosten! Die BÄK hat sich in völliger Verkennung der Bedeutung dieser nur scheinbar kleinen Fußnote und der Wünsche der Patienten und Verbraucher unserer Argumentation bisher verschlossen.

Steigerungsfaktor

Es ist überwiegend der neue Einfachsatz (entspricht etwa dem 2,4-fachen der alten GOÄ) vorgesehen und nur für eng definierte Situationen soll der 2-fache Satz gelten. Das erleichtert möglicherweise der PKV die Überprüfung der Rechnungen, spiegelt aber nicht den Arztalltag wider, der oft dazwischen liegt. Diese Regelung würde eine unsoziale Verteuerung der IGel-Leistungen zur Folge haben oder der Arzt unterläuft den neuen Einfachsatz und tut damit das, was die BÄK nach eigenem Bekunden unbedingt vermeiden will: Unterbietung des neuen 1-fach-Satzes!

Einschränkung der Abrechnung auf qualifizierte und zertifizierte Weiterbildung [2]

Aus einem persönlichen Gespräch ging hervor, dass ein Zugriff auf alle Kapitel möglich sein soll. Es gäbe ca. 90 Zusatzziffern, die vor allem den Hausärzten eine differenzierte Abrechnung ermöglichen sollen. Hierzu zählen z. B. Ziffern für die Behandlung von Kindern und genauere Positionen für die Wundversorgung.

Es bleibt zu hoffen, dass diese Änderungen erfolgen und die fachübergreifende und analoge Abrechnung weiterhin möglich bleibt und sich die GeKo nicht zum befürchteten Bürokratiemonster mit Beschneidung der Arztrechte entwickelt.

Ausblick

Der Sonderärztetag hat sich letztlich mehrheitlich hinter den BÄK-Vorstand gestellt, sodass damit zu rechnen ist, dass dieser Entwurf weiter so verhandelt wird. Großes Fragezeichen ist noch der Bundesrat, der dem Entwurf zustimmen muss. Es ist durchaus möglich, dass das ganze Projekt noch an den politischen Hürden in Berlin scheitert. Ob die neue GOÄ letztlich ein Vorteil für den ärztlichen Alltag, für das persönliche Verhältnis zum Patienten und für die Weiterentwicklung des ärztlichen Berufs darstellen wird, scheint im Moment eher unwahrscheinlich. Vonseiten der Fachgesellschaften der Naturheilkunde und Komplementärmedizin haben wir unsere Argumente immer wieder vorgetragen. Obwohl so viele Ärzte die Naturheilkunde und Komplementärmedizin in der einen oder anderen Form anwenden, zeigt sich die BÄK hier derzeit wenig aufgeschlossen. So bleibt zu befürchten, dass einige traditionelle Verfahren in der neuen Gebührenordnung zunächst einmal auf der Strecke bleiben. Hier ist weiter die aktive Verbandsarbeit für Komplementärmedizin und Akupunktur gefordert.

Literatur

[1] www.aerzteblatt.de/archiv/173391

[2] www.pkv.de/service/zahlen-und-fakten

[3] Stör W. GOÄ – Silberstreif am Horizont? DZA – Deutsche Zeitschr f Akupunktur 2014; 2: 33.

 

Autoren

Dr. med. Rainer Stange
Präsident des Zentralverbands der Ärzte für Naturheilverfahren und Regulationsmedizin e.V. (ZAEN)
Immanuel Krankenhaus
Abt. f. Naturheilkunde
Königstr. 63
14109 Berlin-Wannsee

Dr. med. Wolfram Stör
1. Vorsitzender der Deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur e.V. (DÄGfA)
Facharzt für Allgemeinmedizin
82057 Icking
E-Mail: stoer@daegfa.de

Maik Huneke
Vorstandsmitglied des Zentralverbands der Ärzte für Naturheilverfahren und Regulationsmedizin e.V. (ZAEN)
Facharzt für Allgemeinmedizin
Pyrmonter Str. 11
32805 Horn-Bad Meinberg

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