Bericht: Überraschende Aspekte und überzeugende Methoden: Das 4. Symposium Muskel und Faszie – Update und Praxis

Bereits zum vierten Mal fand am 24.10.2015 in München das Symposium „Muskel und Faszie – Update und Praxis“ statt. Veranstalter waren, wie in den Vorjahren, die Deutsche Ärztegesellschaft für Akupunktur e.V. (DÄGfA) in Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Das Thema Muskel und Faszie wurde auf dieser qualitativ hochwertigen Veranstaltung von allen Seiten beleuchtet, intensiv diskutiert und am Nachmittag in Workshops geübt – von den wissenschaftlichen Grundlagen über diagnostische Methoden bis hin zu verschiedenen Therapieempfehlungen.

Mit seinem Vortrag „Eine kritische Bestandsaufnahme der wissenschaftlichen Grundlagen der Triggerpunkte“ eröffnete Prof. Dr. Siegfried Mense, Center for Biomedicine and Medical Technology Mannheim (CBTM), Heidelberg University, Medical Faculty Mannheim, das Symposium. Mense konnte aufzeigen, dass die Grundlagenforschung noch wesentliche Erkenntnisse zum Verständnis myofaszialer Schmerzen, dem Phänomen Triggerpunkt und dem übertragenen Schmerz (Referred Pain) gewinnen muss. Er führte aus, dass die Entstehung myofaszialer Triggerpunkte als dynamischer Prozess zu verstehen ist. Möglicherweise entwickelt sich der klinisch relevante übertragene Schmerz durch Ausbreitung spinaler Einflussgebiete. Beteiligt kann unter anderen der NGF (Nerve Growth Factor) sein, wie Mense mit eigenen Befunden zeigte. Aber auch hier ist noch viel Forschung nötig.

Der Orthopäde Dr. Hannes Müller-Ehrenberg aus Münster, 1. Vorsitzender der Medizinischen Gesellschaft für Myofasziale Schmerzen e.V. (MGMS), führte in die Prinzipien der klinischen Untersuchung von myofaszialen Schmerzen ein. Obschon es in den letzten Jahren vielversprechende Fortschritte in der bildgebenden Diagnostik zur Darstellung von myofaszialen Triggerpunkten gegeben hat, ist die klinische Untersuchung – und hier im Vordergrund die exakte Palpation der Muskeln und Faszien – von entscheidender Bedeutung, um myofasziale Schmerzen zu diagnostizieren. Herausgestellt wurde die Wichtigkeit der exakten palpatorischen Untersuchung, weil, wie die Studienlage belegt, qualifizierte Untersucher eine hohe Zuverlässigkeit der Triggerpunkt-Untersuchung erzielen (Interrater-Reliabilität). Anhand von eigenen Studiendaten wies Müller-Ehrenberg auf die Bedeutung der fokussierten extrakorporalen Stoßwelle (fESWT) in der Diagnostik von myofaszialen Triggerpunkten hin: Mit der fESWT lassen sich die bedeutenden Diagnosekriterien „Wiedererkennung“ und „Übertragungsschmerz“ häufiger auslösen als mit der herkömmlichen Palpation. Am Beispiel des Knieschmerzes skizzierte er einen Untersuchungsgang und legte die Bedeutung von myofaszialen Schmerzen an diesem Kniegelenk dar. Besonders herausgestellt wurde die Tatsache, dass die Untersuchung auf myofasziale Schmerzen nicht den herkömmlichen neuro-orthopädischen Untersuchungsgang ablöst, sondern diesen erweitert, um so ein besseres Verständnis der Beschwerden der Patienten zu erzielen.

Dr. Johannes Fleckenstein, Institut für Komplementärmedizin IKOM, Universität Bern, und Abteilung für Sportmedizin, Goethe-Universität Frankfurt, präsentierte ein „Update klinischer Studien“. Neben dem Nachweis der klinischen Wirksamkeit des Dry Needlings stellte er die Bedeutung einer fachgerecht durchgeführten Diagnostik myofaszialer Schmerzsyndrome auf das Studienergebnis dar. Eine zunehmende Anzahl von Wissenschaftlern stützt ihre Ergebnisse auf die diagnostischen Kriterien von Simon und Travell und unterscheidet insbesondere zwischen aktiven und latenten Triggerpunkten. Nicht nur Dry Needling ist ein effektiver Ansatz – auch Infiltrationen (Wet Needling) mit Lokalanästhetikum, manuelle Therapien und vor allem die Kombination dieser Verfahren in multimodalen Behandlungssettings verbessern langfristig myofasziale Beschwerden.

Die Referenten des Symposiums (v.l.n.r.): Dr. Johannes Fleckenstein, Dr. Nicolas Behrens, Prof. Dr. Siegfried Mense, Dr. Hannes Müller-Ehrenberg, PD Dr. Dominik Irnich, Dr. Maximilian Fütterer.

Dr. Maximilian Fütterer, Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin, Lehrpraxis der Technischen Universität München, führte in seinem Vortrag die theoretischen Grundlagen der Neuraltherapie aus und wies dabei auf die zentrale Stellung des vegetativen Nervensystems als wichtigstes Steuerungssystem bei körperlichen Störungen hin. Er hob die – im Vergleich zur Technik des Dry Needlings – aus seiner Sicht bestehende zusätzliche Wirksamkeit bei der Verwendung von Lokalanästhetika für die Therapie des myofaszialen Schmerzsyndroms hervor. Hierbei kam er insbesondere auf die erkennbaren Vorteile des Procains zu sprechen. Wichtig war ihm zu betonen, dass der Triggerpunkt aus ganzheitlicher Sicht keine isolierte muskuläre Erscheinung ist: Vielmehr muss er als Ausdruck einer gestörten segmentalen, ggf. auch übersegmentalen oder emotionalen Regulation aufgefasst und therapiert werden. Hierbei bietet die Neuraltherapie viele unterschiedliche Ansatzpunkte, welche oft mit Erfolg eingesetzt werden können.

PD Dr. Dominik Irnich, Leiter der Interdisziplinären Schmerzambulanz, Oberarzt der Klinik für Anaesthesiologie, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), wies in seinem klinisch orientierten Beitrag über „Myofaszial bedingte Nervenengpasssyndrome der oberen Extremität“ zunächst auf die Bedeutung der klinischen Untersuchung hin. Diese erlaubt bereits eine Differenzierung zwischen einem von Triggerpunkt ausgelösten übertragenen Schmerz und einem myofaszial bedingten neuropathischen Schmerz (Nervenengpasssyndrom). In der Folge wurden die wesentlichen Engpasssyndrome dargestellt, von Plexus brachialis (Scalenussyndrom, M. pectoralis minor, DD 1. Rippe), N. ulnaris (M. flexor carpi ulnaris, M. flexor digitorum superficialis und profundus, DD Sulcus N. Ulnaris Syndrom), N. medianus (M. flexor carpi radialis, M. flexor digitorum superficialis, M. palmaris longus, DD KTS, M. pronator teres, M. flexor digitorum superficialis) und N. radialis (M. supinator, M. brachioradialis, M. extensor carpi radialis longus und brevis). Es wurde deutlich, dass bei Schmerzen und Funktionsstörungen der oberen Extremität an Nervenengpasssyndrome gedacht werden muss und diese in vielen Fällen klinisch differenziert werden können. Aus Erfahrung kann dann eine spezifische Triggerpunktbehandlung eine operative Lösung überflüssig machen.

Dr. Nicolas Behrens, Arzt für Physikalische Medizin und Rehabilitation, München, ging in seinem Vortrag „Welche Haltung stresst Muskel und Faszie“ zunächst auf die bekannten Auslöser einer anhaltenden Muskeltonusstörung mit möglicher Entwicklung von Triggerpunkten ein. Dabei stellte er heraus, dass biomechanische Faktoren wie Beinlängendifferenz eher überbetont werden. Wesentlicher bei der Entstehung chronischer Beschwerden sind die inneren Haltungsstörungen im Sinne einer dysfunktionalen Einstellung, allen voran Depression und Angst. Deren Korrelation mit chronischen Rückenschmerzen ist klinisch signifikant, experimentell nachgewiesen der tonuserhöhende Effekt eines hyperaktivierten Sympathikus bei Stress, z.B. nach Traumata. Haltung und Muskulatur werden chronisch schmerzhaft, wenn der Umweltbezug, die Beziehung gestört ist. Sinnvolle, somato-psychische Therapiemöglichkeiten unter Integration der Akupunktur, Neuraltherapie und auf dem Leitbahnsystem basierender Körpertherapie (Psychotonik Glaser®) wurden als Ausblick dargestellt.

Auch der Spezialkurs „Triggerpunkt-Akupunktur für Fortgeschrittene“ (Dozenten: Dr. N. Behrens, Dr. J. Fleckenstein, PD Dr. D. Irnich) am darauf folgenden Tag fand regen Zuspruch. _____________________________________________________________________________

Aufgrund der vermehrten Nachfrage für eine weiterführende Spezialisierung plant das Fortbildungszentrum der DÄGfA eine Systematisierung der Ausbildung zum Triggerpunkt-Therapeuten.

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